Gastbeitrag von Wolfgang Weber
Auch wenn Ost und West vieles trennte: Das gespaltene Deutschland hatte auch durchaus Gemeinsamkeiten. Das Spießertum und der Muff im Tagesablauf nervte die Jugendlichen – hüben wie drüben.
Um den Alltag aufzuhübschen, brauchte es neuer Trends und neuer Rhythmen, die auch über den „Eisernen Vorhang“ schwappten. Ein Breakdance-Event im US Camp der Gedenkstätte Point Alpha rückte gestern nicht nur filmisch, sondern „live“ mit einer Tanzvorführung die bewegende Jugendsubkultur ins Rampenlicht.
Ein Höhepunkt waren die Six-Steps, Ninety Niners oder Turtles, die von den „Wigbertdancers“ aus der Wigbertschule Hünfeld, gekonnt aufs Parkett gebracht wurden.
Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit war der Tanz- und Filmabend auf Point Alpha etwas ganz Besonderes: Die Besucher begaben sich bei einer Filmdokumentation des MDR auf eine Zeitreise zu den DDR-Breakdancern der 1980er Jahre.
Schülerinnen der Wigbertschule Hünfeld zeigten zu flotten Akkorden einstudierte Breakdance-Moves. Die „Wigbertdancers“ stellten ihr tänzerisches Talent unter Beweis und wurden von einem begeisterten Publikum durch Anfeuerungsrufe und Klatschen kräftig unterstützt.
Der Veranstaltung vorausgegangen war ein zweitägiger Tanz-Workshop, in dem die Teenager sich intensiv mit dem Thema beschäftigten und die akrobatischen Styles gemeinsam mit dem prominenten Stargast Sebastian „KillaSebi“ Jaeger, dem mehrfachen Ex-Breakdance-Weltmeister, fleißig eingeübt hatten.
Jaeger brachte auch einen Hauch von dem Lebensgefühl der unangepassten Jugend aus dem Kinofilm „Dessau Dancers“ aus dem Jahr 2015 mit ein, in dem der heute 36-Jährige mitspielte.
War Breakdance eine revolutionäre Jugendkultur in einer Diktatur? „Die Welt im Osten war grau, aber die Jugend hat sie sich bunt gemacht“, verdeutlichte Aline Gros, Projektleiterin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Point Alpha Stiftung.
Dazu gehörten die Suche nach Individualität statt Anpassung, Lebensfreude statt trister Alltagswelt, echtem Gemeinschaftsgefühl in kleinen Tanzgruppen statt staatlich verordneter Vergnügungskultur.
Dies wurde in ihrem informativen Einführungsvortrag deutlich, in dem sie Fakten zur politischen Situation in Europa und zur Lebenssituation der Menschen in der DDR lieferte.
Als die Breakdance-Welle den Osten Deutschlands erreichte, gab es für viele Jugendliche kein Halten mehr. Das zeigte in eindrucksvollen Bildern die ansprechende Filmdokumentation.
Tanzend bewegten sie sich durch die ostdeutsche Tristesse und entwickelten mit ihrer Musik und Klamotten einen ganz eigenen Lebensstil. Coole Jungs, die mit robotergleichen, schnellen Bewegungen zu seltsamer Musik tanzten.
In der DDR fanden sich schnell Nachahmer, die in selbstgenähten Jogginganzügen und zur Mucke aus dem Kassettenrekorder einen Ansatz von Rebellion lebten.
„Es war spannend, ein bunter Vogel zu sein und das Gefühl von persönlicher Freiheit zu spüren“, erinnerte sich ein Protagonist, für den die HipHop-Welt durch den US-Film „Beat Street“ zu einer Art „Droge“ wurde.
Natürlich fielen die schrillen Breakdancer in den Straßen den Sicherheitsbehörden auf. Diese sahen die sozialistischen Grundwerte gefährdet und führten die Tanzenden zum Verhör ab.
Humor gehörte nämlich nicht zu den Stärken der SED: Für sie war der Breakdance ein ernst zu nehmendes „Geschütz im Kalten Krieg“.
Da Verbote nicht fruchteten und die Welle nicht mehr aufzuhalten war, versuchten die Kulturwächter die „verteufelten, zuckenden Verrenkungen aus dem Kapitalismus“ sozialistisch zu machen.
Daher wurde aus dem Breakdance ganz offiziell der „akrobatische Showtanz im Volkskunstkollektiv“. Als die Grenzöffnung kam war die Community plötzlich tot, die eigenwilligen, mutigen Jugendlichen zerstreute es in die ganze Welt.
Heute, 33 Jahre später ist die Szene in den östlichen Bundesländern aber wieder lebendig und reflektiert – so wie früher – in den Tänzen auch ihre eigene Geschichte…