Gastbeitrag der Gefängnisseelsorge JVA Hünfeld / JVA Fulda
Stefanie Stampe aus Hamburg hat als zweifache Mutter, ehemalige Betriebsleiterin im Männervollzug, Pädagogin und Leitung in einer sozialpsychiatrischen Pflegeambulanz nun ihre Leidenschaft für Musik in Verbindung mit Strafvollzug gebracht und zwar berufsbegleitend an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg.
Als Masterstudentin angewandter Familienwissenschaften ist sie ein gutes Beispiel dafür, dass man auch mit 53 noch studieren kann. Sie hat fast alle Prüfungsleistungen geschafft und befindet sich auf der Zielgeraden zum Studienabschluss.
Anfang Juni reiste sie von Hamburg nach Hünfeld, um den im Bistum Fulda tätigen Wissenschaftler und Gefängnisseelsorger Diakon Dr. mult. Meins G.S. Coetsier für ein fachliches Gespräch zum Thema Musik, Strafvollzug und Seelsorge zu treffen.
Das Interview und der wissenschaftliche Austausch fanden im Bonifatiuskloster in Hünfeld statt.
Stefanie Stampe argumentiert in ihren Arbeiten, dass Musikangebote im Haftalltag des 21. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewinnen, da sie bei den Resozialisierungsprozessen oder einer Neusozialisation sowohl im familiären als auch gesellschaftlichen Kontext eine wichtige Rolle spielen können.
Die Justizvollzugsanstalten in Hünfeld und Fulda, die in Zusammenarbeit mit „Theater hinter Gittern“, der „Förderung der Bewährungshilfe in Hessen“ und der katholischen und evangelischen Gefängnisseelsorge jährlich einiges Musikalisches unternehmen, sind ihr in der Recherchearbeit an der HAW Hamburg dabei als sehr originell und postiv aufgefallen.
Ein guter Grund für die Hamburger Studentin ins Hünfelder Land zu reisen.
Musik als Mittel gegen Isolation
Im Kontext zur Gefahr einer Zunahme sozialer Isolation bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, von welcher besonders die Familienangehörigen von Inhaftierten betroffen sind, steht auch die Sorge um das straffällig gewordene Familienmitglied, sowie Scham und die Angst vor Stigmatisierung der gesamten Familie im Vordergrund.
„Dies wirkt sich auf die Psyche aller aus und hat direkte negativen Folgen für die physische und mentale Gesundheit“, meint Stefanie Stampe.
Während für die Angehörigen „draußen“ das Leben dennoch irgendwie weitergeht, sind straffällig gewordene Menschen vom Tag der Inhaftierung an, von ihrer bisherigen sozialen Rolle abgeschnitten und während der Haftdauer ausschließlich Inhaftierte.
In Studienarbeiten zeigt sie, dass bei vielen Rückzug sowie Einsamkeit bis hin zu Depressionen die Folgen sind, was sich auch auf das soziale Verhalten unter Gefängnisinsassen auswirkt. Dies wiederum kann trotz aller Sicherheitsstandards innerhalb der Anstalten zu neuer Kriminalität und Gewalt führen.
„Ein Mittel gegen Isolation, Gewalt und Leid“, so schreibt sie, „ist Musik.“ Einfach, weil sie „die Menschen öffnet und auszudrücken vermag, was Worte nicht können.“
Die Forscherin betont: „Und dies über kulturelle und sprachliche Barrieren, sowie über Musikgenres hinweg. Obwohl schon seit mehr als 100 Jahren, besonders im amerikanischen Strafvollzug musiziert wird (z.B. Johnny Cash, B.B. King, Frank Sinatra), ist dieses Forschungsgebiet in Deutschland weitestgehend vernachlässigt.“
Musik als gemeinsame Menschlichkeit
Stefanie Stampe möchte in ihrem Studium Erkenntnisse gewinnen, wie Musik inhaftierte Menschen dabei unterstützen kann, die Zeit in der Haft zu überstehen, persönlich und sozial zu wachsen, von zukünftigen kriminellen Handlungen Abstand zu nehmen und gemeinsame Menschlichkeit zu lernen, um sich so wieder in die Familie und in die Gesellschaft eingliedern zu können.
Ein Thema, dem sich auch die Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalten Fulda und Hünfeld seit Jahren mit sehr viel Engagement und Hingabe widmen: d.h. mit diversen musikalischen Veranstaltungen und Gottesdiensten, dem Musikprojekt „Divine Concern“, sowie Gitarren- und Musikgruppen.
Immer wieder finden in den JVAs Hünfeld und Fulda Konzerte statt, unterstützt von der Justiz und den Anstaltsleitungen, die den Gefangenen die Chance geben, aus ihren Zellen herauszukommen.
Die Hamburger Forscherin hat erkannt, auch aus ihrer eigenen langen Erfahrung der Arbeit im Strafvollzug, dass „die Inhaftierten mit Musik erneut das Leben, die Freude sowie auch durch eigenes Musizieren eine Würde im eigenen empfinden spüren können.“
Diese Möglichkeit, sich durch Musik wieder als Individuum und Teil einer Gemeinschaft zu erfahren, „erreicht die Inhaftierten auch auf emotionaler Ebene und verdeutlicht für diese fühlbar die Bedeutung, nach der Haftentlassung ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben in Freiheit anzustreben“, so die Studentin.
Mit ihren abschließenden Studienarbeiten an der HAW Hamburg strebt Stefanie Stampe danach, dass dem Themenkomplex „Musik im Strafvollzug“ und seinem Potential für die Gefangenen von Heute, aber auch für deren Familien und die weitere Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit und Engagement zugemessen wird.
„Das legendäre Konzert von Johnny Cash, am 13. Januar 1968, im Kalifornischen Staatsgefängnis Folsom Prison, ist den Menschen mittlerweile weltweit ein Begriff, warum hier nicht einfach anknüpfen? Hünfeld und Fulda zeigen… da geht noch was!“