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Die frühe Kindheit verstaatlicht – Buchvorstellung von Florian von Rosenberg auf Point Alpha

Gastbeitrag von Wolfgang Weber

Glückliche Säuglinge und Kleinkinder prägten die Berichterstattung in den Medien der DDR über die Krippen: gemeinsam spielen, singen und fröhlich sein.

Diese schönen Bilder der Kindheit verblassen, sobald man einen Blick hinter die staatliche Propaganda wirft und die Akten des zuständigen Ministeriums für Gesundheitswesen in die Hand nimmt.

Dr. Florian von Rosenberg hat diese Bestände ausgewertet und die Ergebnisse in seinem Sachbuch „Die beschädigte Kindheit – Das Krippensystem der DDR und seine Folgen“ zusammengefasst. Zur Buchvorstellung kamen zahlreiche Gäste in das Haus auf der Grenze.

Durch seine Recherchen offenbart der Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Erfurt unter welchen Bedingungen die Kinder von null bis drei Jahren zwischen 1949 und 1989 tatsächlich lebten.

Dabei zeigt er die erschreckende Diskrepanz zwischen der Betreuung in Säuglingsheimen, Tages- und Wochenkrippen auf der einen und der Familie auf der anderen Seite auf.

„In den Krippen waren zum Teil bis zu 30 Mädchen und Jungen in einem Raum untergebracht, das Infektionsrisiko dadurch um ein Vielfaches höher als Zuhause, wo man sich nur um ein Kind, allenfalls noch um die Geschwister, kümmern musste.

Wie das DDR-Gesundheitsministerium damals selbst herausfand, waren 89 Prozent der Krippenkinder im ersten Lebensjahr krank, in der Familie waren es nur 29 Prozent.

Viele Säuglinge waren zudem zu leicht, zu klein, hinzu kamen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen“, fasst Rosenberg zusammen. Die Umstände in jenen sozialistischen Anstalten bedeuteten für einen Teil der Säuglinge und Kleinkinder großes Leid.

Groß war der Mangel in den personell zumeist unterbesetzten Krippen an individueller Zuwendung und Aufmerksamkeit, getaktete Erziehungspläne und Konditionierungen halfen wenig.

Dies wussten und notierten die zuständigen DDR-Behörden, aber waren zum Stillschweigen verpflichtet.

Auch eine Expertin mahnte in Ostberlin, dass „die sprachlichen und geistigen Fähigkeiten der Familienkinder signifikant über denen der Tageskrippenkinder“ lagen.

Diese und andere alarmierende Diagnosen sowie kritische Stimmen durften aber nicht in die politische Diskussion in der DDR einfließen.

Auch Kinderärzte und Psychologen, die vor den Gefahren warnten, oder skeptische Eltern wurden abgewürgt und zu einer linientreuen Haltung genötigt.

Öffentlich propagiert wurde derweil eine moderne Mutter, die die sozialistische Gesellschaft und die „Gleichberechtigung der Frau“ voranbrachte und im Arbeitsprozess pflichtbewusst ihre Erfüllung fand.

Wider besseres Wissen wurde das System der „Krippenwelt“ glorifiziert. Und hier, so der Referent, liege der eigentliche Skandal: Die SED stellte das Wohl des Staates über das seiner Kinder.

Ohne Rücksicht wurde die Verfügbarkeit der weiblichen Arbeitskraft für das staatliche Streben nach Produktionssteigerung vorgegeben. Anfangs mussten die Frauen schon sechs Wochen nach der Geburt wieder am Arbeitsplatz erscheinen.

Den hohen Preis für diese ideologischen Ansprüche und den Aufbau der Volkswirtschaft hatten die Kleinsten der Republik zu zahlen. Die frühe Kindheit wurde verstaatlicht, die oft negativen Begleiterscheinungen von den politisch Verantwortlichen in Kauf genommen.

„Die Lektüre polarisiert“, gestand der Autor im Anschluss an die Lesung in der angeregten, kritischen Diskussion mit den rund 100 Besuchern im Haus auf der Grenze ein.

„Es ist aber nicht die Abrechnung eines Westdeutschen mit dem Bildungssystem der DDR.“

An den Pranger stelle er vielmehr die strukturellen Probleme durch die diktatorischen Vorgaben und keinesfalls die engagierten Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die Mediziner, Erzieher oder Eltern.

Zahlreiche Wortmeldungen berichteten von den positiven Erfahrungen und der guten Betreuung in den entsprechenden Einrichtungen im Geisaer Amt und in der Rhön.

„Es hat auch Schönes und Glück in den Krippen gegeben, aber das ist nicht Thema des Buches“, ordnete von Rosenberg die Ergebnisse ein, die sich auf Aktenmaterial der DDR-Gesundheitsbehörden stützen.

Zu Beginn hatte Philipp Metzler, den Referenten und die Besucher im Forum begrüßt und kompakt in das Thema eingeleitet.

Der Studienleiter der Point Alpha Stiftung zeigte sich erfreut über die große Resonanz und bedankte sich bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen für die Kooperation.

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