Am 26. Juni 2021 klappert zum letzten Mal die alte Holztür vom “Zenti” – so ist das kleine Lebensmittelgeschäft von Regina Bittorf in Zella und den umliegenden Ortschaften wohl bekannt.
Dann hat sich die Geschäftsleiterin dazu entschlossen, das Geschäft nach 116 Jahren in Familienbesitz zu schließen.
Ein Blick zurück
Es war im Jahr 1893, als die Dermbacher Handelsfirma Mittermüller eine Niederlassung in der Ortsmitte von Zella errichtete. Anton Mittermüller setzte dort seinen Angestellten Carl Ruppert als Filialleiter ein. Dieser war der Sohn des Unteralbaer Scherenschleifers Johann Georg Ruppert und dessen Frau Anna Maria.
Carl war mit neun Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte den Kaufmannsberuf erlernt. 1896 heiratete er eine Tochter des Zellaer Landwirts Heinrich Priller. Fünf Kinder waren aus dieser Ehe hervorgegangen, als die Rupperts im Jahr 1905 das Mittermüllersche Geschäft kauften.
Es wurde als “Firma Carl Ruppert” ins Handelsregister eingetragen. Von den fünf Kindern der Familie fiel der älteste Sohn Karl Josef im 1. Weltkrieg, die Tochter Rosa verunglückte mit 19 Jahren tödlich, Sohn Paul verstarb 21-jährig.
Als Nachkriegsnöte und Inflation die Existenz der Firma bedrohten, ging Tochter Anna nach Amsterdam in Stellung und erhielt mit ihrem Lohn das Geschäft.
Nach Annas Eheschließung mit dem Kaufmann Emil Zentgraf aus Lahrbach im Jahr 1931 übernahm dieser das Geschäft seines Schwiegervaters. Der Eisenwarenhändler Zentgraf war vorher als Geschäftsführer der Firma Kammandel in Geisa tätig.
Er erweiterte die Geschäfts- und Lagerräume in Zella und führte ein breites Warensortiment ein, besonders Bau- und Möbelbeschläge, Kleineisenwaren, Öfen und Herde. Auch bildete er Lehrlinge aus. Im 2. Weltkrieg wurde er eingezogen und kam erst 1948 aus der Gefangenschaft zurück.
Während dieser Zeit führte seine Frau das Geschäft mit treuen Mitarbeitern.
Als es in den Nachkriegsjahren und der folgenden DDR-Zeit an vielem mangelte, fand er immer wieder Möglichkeiten der Warenbeschaffung. Ungezählten Kunden hat er damals bei Versorgungsengpässen helfen können und man sagte “Wenn du etwas dringend benötigst und nirgends bekommst, geh nach Zella”.
Die nächste Inhaberin der Firma Carl Ruppert wurde Marianne Lauer, Tochter von Emil und Anna Zentgraf. Sie war nach achtjähriger Ehe mit dem Kaufmann Bernhard Lauer früh Witwe geworden.
Ihre jüngste Tochter Regina übernahm 1989 von ihrer Mutter die Firma, die sich auch in der gesamten DDR-Zeit als privat geführtes Geschäft behauptet hatte. Schon nach ihrer Lehre beim Konsum Bad Salzungen von 1981 bis 1983 arbeitete Regina Bittorf im mütterlichen Geschäft.
Damals gab es in Zella auch noch einen Konsum, in welchem Lebensmittel verkauft wurden.
Das Sortiment beim “Zenti” bestand jedoch nur zu einem geringen Teil aus Lebensmitteln. Hier wurden Eisenwaren, Farben, Haushaltswaren, Schreibwaren, Textilien, Spielwaren, Sargbeschläge und auch Kerzen verkauft. In der DDR durften Betriebe nicht in Verkaufsstellen, welche für die Versorgung der Bevölkerung bestimmt waren, einkaufen.
Es gab aber eine Ausnahmegenehmigung, welche im Gemischtwarengeschäft in Zella vorhanden war. So war es üblich, dass viele Handwerker und auch Betriebe (z.B. das Krankenhaus Bad Salzungen, das Kabelwerk Vacha, die Alfi in Fischbach, Kali in Merkers u.v.a) ihre benötigten Waren in Zella kauften und viele Pfarrer der Region ihre Kerzen aus Zella bezogen.
Als im November 1989 die Grenzen aufgingen, war das Verlangen nach westlichen Waren enorm groß. Der Großhandel in Bad Salzungen führte aber vorerst nur Ostprodukte, erst nach und nach zogen die Westprodukte ins Sortiment ein. Also fuhr Rainer Bittorf wöchentlich in die Groma nach Fulda und kaufte die begehrten Waren ein. Sie wurden 1:3 in Ostmark bezahlt.
Im Sommer 1990 kam dann die Währungsunion und im Oktober wurde der Laden auf Selbstbedienung nur für Lebensmittel einschließlich Frischfleisch umgebaut. Die Ware wurde nun von der Rewe Handelsgesellschaft angeliefert. Die großen Handelskonzerne waren damals bestrebt, schnell in den neuen Gebieten Fuß zu fassen.
Mittlerweile sind die kleinen Läden nicht mehr lukrativ für die Konzerne, was man in den letzten Jahren immer mehr zu spüren bekam. Um die Umsatzzahlen einigermaßen aufrecht zu erhalten, mussten immer wieder neue Ideen her. So fing man beizeiten an, die Getränkekisten direkt nach Hause zu liefern. Später führte man einen Fahrdienst ein, welcher Kunden aus den Nachbarorten zum Einkaufen nach Zella brachte.
Als dann Corona ins Spiel kam, wurden die Bestellungen entgegengenommen und nach Hause geliefert. Nun ist Ehemann Rainer erkrankt und es wurde der Beschluss gefasst, den Laden zu schließen. Die viele Kraft und Zeit, die man für das Geschäft benötigte, will man jetzt für die Familie und die Enkelkinder nutzen.
Der endgültige Ausverkauf der restlichen Ware sowie des Inventars und auch Restbeständen der DDR-Ware (z.B. Schraube, Werkzeug, Skier u.v.a) wird am 31.7. von 10-16 Uhr stattfinden. Zu diesem Hausflohmarkt laden wir jetzt schon alle ein.